PORTRAIT: BERLIN
Jürgen Baumann, Gerhard Kassner, Lens Liebchen, Wiebke Loeper, Christian Rothmann
Viele Baustellen sind inzwischen in Berlin verschwunden, gefüllt mit neuen, nicht immer spektakulären Bauwerken. Diese neue Architektur zeigt bereits jetzt deutliche Abnutzungsspuren, insbesondere um den Potsdamer Platz, dem urbanen Vorzeigeprojekt in der Mitte der deutschen Hauptstadt. So sind die vielen photographischen Bilder der Berliner Baustellen und die damit verbundene Metamorphose Berlins, etwa von Frank Thiel oder Michael Wesely, inzwischen ebenso Geschichte wie die Entstehung der neuen Bauten selbst.
Mehr als ein Jahrzehnt nach Mauerfall und Wiedervereinigung hat Berlin sich verändert. Annähernd die gesamte Gesellschaftsstruktur wurde in Frage gestellt, herausgekommen ist eine geistig und architektonisch gewandelte Stadt. Künstler und insbesondere Photographen haben diesen Veränderungsprozeß begleitet – und visuell mitgeprägt.
In der deutschen Hauptstadt wurden viele neue Räume geschaffen, zerstört oder auch neu besetzt: private wie öffentliche, Geschäfts- und Kunsträume. Jens Liebchen und Wiebke Loeper zeigen diesen Wandel, einmal repräsentativ, das andere Mal ganz privat, Liebchen mit Schwarz-Weiß-Porträts bedeutender Künstler vor ihren Werken in den neuen Regierungsgebäuden, etwa im Berliner Reichstag.
Dies sind auf den ersten Blick Bilder eines offiziellen Berlins, die Dokumentation eines Vorzeigeprojektes deutscher Kulturpolitik. Doch Liebchen hinterfragt traditionelle Darstellungsmuster und visuelle Klischees eines gängigen Bildtopos’: der Künstler und sein Werk. Er setzt Gotthard Graubner, Georg Baselitz oder Katharina Sieverding gewissermaßen als Fußnote neben das jeweils eigene monumentale Bildwerk.
Wiebke Loeper dagegen zeigt den Wandel Berlins, insbesondere des Ostteils der Stadt, mit einer autobiographisch geprägten Gegenüberstellung früherer Aufnahmen des Vaters. Diese Dokumentation ihrer Kindheit konfrontiert sie mit eigenen, aktuellen Blickwinkeln, vom selben Ort, einer leergeräumten Wohnung kurz vor dem Abriß des Elternhauses. So schafft sie ein Symbol für die strukturelle Veränderung der Gesellschaft und eines Individuums im Zeitraum von zwei Dekaden. Diese konzeptuelle Arbeit, gleichsam das Blättern in einem Photoalbum ohne deskriptive Texte, geschieht als interaktive Diaprojektion. Der Betrachter kann selbst die Geschwindigkeit des Hin-und-Herblätterns am Diaprojektor bestimmen und so die Vor-Bilder und Nach-Bilder mimetisch in Beziehung setzen.