Brigitte Waldach

SICHTUNG ROT

Vernissage am Sonntag, 05. Oktober 11.30 Uhr

Einführung: Dr. Matthias Harder, Palais für aktuelle Kunst

Malerei, Installation  05.10.-09.11.2003

 

Mit der Ausstellung „Sichtung“ von Brigitte Waldach setzt das Palais für aktuelle Kunst die Reihe mit Einzelausstellungen junger Künstler fort. Brigitte Waldach studierte an der Hochschule der Künste in Berlin, zuletzt als Meisterschülerin von Georg Baselitz. Mit einem DAAD-Stipendium reiste sie 2001 nach New York, wo sie die renommierte White Box mit einer aufsehenerregenden Swimmingpool-Installation veränderte. In Berlin bespielte sie 2002 die Fassade des Theaters am Halleschen Ufer mit einer alter ego-Figur ihres Zyklus „Sichtung rot“ und wurde zur Ausstellung „Wächserne Identitäten“ ins Georg Kolbe-Museum eingeladen.

Für die Räume des Kunstvereins hat sie nun vier neue Werkgruppen erarbeitet. Jeder Ausstellungsraum ist einem Thema und einem künstlerischen Medium – Installation, Ölbild, Gouache, Bleistiftzeichnung – gewidmet, im Foyer beispielsweise „Schwarze Löcher“: DinA5-große Filzstiftzeichnungen und Folien-cutouts, die auf diesen kleinen Zeichnungen beruhen, eingescannt und vektorisiert wurden und anschließend mit einem Schneidplotter zu lebensgroßen Figuren geschnitten wurden.

Daneben öffnet sich der Raum mit einer neuen Werkgruppe, betitelt „Kulissen kommunikativer Situationen – Christine“. Diese „Kulissen“ zeigen ein weibliches, androgyn wirkendes Modell (namens Christine) in schwarzer Silhouette auf riesigen Büttenbahnen, als multiples Portrait inszeniert. Hier spielt Brigitte Waldach mit Bewegungsmustern einer konkreten Person, mit Distanz und Nähe. Die Momentaufnahmen beruhen auf eigenen Photographien mit Vorgaben der Posen, hier transformiert in Gouache auf Bütten, umgesetzt in große und kleine Figuren, die über die unterschiedlichen Größen Räumlichkeit suggerieren. In der realen Raumecke überlagern und verdichten sich die Körper, die jedoch nur ein und derselben Person abgelauscht sind. Die stilisierten anonymisierten Schattenrisse, in denen die gleiche Person mit sich selbst und mit uns Betrachtern zu kommunizieren scheint, bilden die Hintergrundkulisse für tatsächliche Begegnungen im Ausstellungsraum.

Im Erdgeschoß befinden sich unter dem Titel „Paarungen“ weiterhin Bleistiftzeichnungen von Brigitte Waldach, die erst vor einigen Wochen in Glückstadt entstanden sind. In den Zeichnungen, denen Medienbilder als Vorlage dienten, lesen wir merkwürdige und subversive Geschichten um Zweisamkeit, die mal parasitär ausfällt, mal symbiotisch oder schlicht voller harmonischer Vertrautheit.

„Sichtung rot“ in den beiden letzten Räumen in der unteren Raumflucht vereint verschiedene Aspekte des großangelegten, multimedialen Projektes gleichen Namens. 96 Zeichnungen entstanden vor kurzem, als Brigitte Waldach eine umfangreiche Privatbibliothek mit Photoliteratur sichtete.

Brigitte Waldachs Projekt „Sichtung rot“ begann im Jahr 2000 als work in progress und wurde in unterschiedlichen Formen visualisiert: als begehbare Rauminstallation im eigenen Atelier, als Wandbild auf der Kunstmesse Zürich oder als Zeichnungsserie in der Berliner Galerie Jarmuschek und Partner. „Sichtung rot“ entwickelt eine fiktive Biographie, deren alter ego-Figur sich teilweise in illusionistischen Bildräumen bewegt oder in der gelegentlich der rote Faden der Geschichte reißt.

Hier, in „Sichtung rot – our library“ wählt die Künstlerin nun aus jedem Photobildband – im surrealistischen Sinn automatisch, also ohne einschränkende Kontrolle – ein oder mehrere Motive zur Vorlage für eine eigene rote Zeichnung, die anschließend als Siebdruck multipliziert wird. Die photographischen Vorbilder werden nicht 1:1 übernommen, sondern sind lediglich Anlaß für eigene Bildideen. Das Buch kann wieder in die Bibliothek zurückgestellt werden, aus deren Inhalt es als Inspiration entstand. Die Siebdruck-Edition enthält einen 9 Meter langen, gefalzten Siebdruck mit knapp fünfzig Motiven, zum Buch gebunden. Das Buch liegt auf einem roten Tisch mit rotem Stuhl davor – durch diese kolorierten Möbel, die mehr sind als eine schlichte Präsentationsmöglichkeit, wird der Raum zur Installation.

Entscheidend sind auch hier die Sichtachsen: wenn man unten im schmalen Raum nach links blickt, öffnet sich (hinter der Wand mit den knapp Hundert Zeichnungen) eine begehbare Zeichnung. Rote, figurative Folien wurden auf durchsichtige Lexanplatten aufgeklebt und im Raum schwebend aufgehängt; die diffuse, zurückhaltende Lichtführung verändert den Raum in eine geheimnisvolle Traumsequenz. (Die Motive entstammen einem in Vorbereitung befindlichen Zeichentrickfilm.) Im Ausstellungsraum werden wir zum Mitspieler, zum Protagonisten dieser bühnenbildhaften Situation. Und der Blick zurück bringt den zweidimensionalen, schwebenden Stuhl auf einer der transparenten Platten mit dem realen Stuhl im Nebenraum nicht nur mimetisch in Verbindung.

Im Obergeschoß sehen wir die Leinwandbilder der „Sexus“-Reihe, zwei Jahre alt, die, losgelöst von ihren Vorlagen, zu Ornamenten aus Körpern werden – Momentaufnahmen flüchtiger Begegnungen. Sie schweben (teilweise übereinander) in leeren, weißen Bildgründen und zeigen das fast klinische Interesse der Künstlerin an der Hinterfragung der heutigen Werbeästhetik. Gleich nebenan hängen die ältesten Arbeiten dieser Ausstellung, rote Aquarelle von 1999, mit denen Brigitte Waldach ebenfalls Klischees und Posen aus Lifestyle-Magazinen bildhaft paraphrasiert.

In „Stimmen“ (am Ende der oberen Raumflucht) begegnen wir schließlich sieben überlebensgroßen Gesichtern in engen Körperausschnitten aus ihrer jüngsten Bildserie „Weißwelten“, ausgeführt mit fahlen Öllasuren auf weißer Leinwand. Diese Stilisierungen junger weiblicher und männlicher Modelle bilden das Personal eines fiktiven Filmes. Die Protagonisten, die einer Weltraumserie entsprungen sein könnten, scheinen in unseren Realraum hineinzuhorchen.

Im Zentrum von Brigitte Waldachs künstlerischem Interesse steht die alltägliche menschliche Geste, die sie reduziert, stilisiert und neu inszeniert. So sind Waldachs Bildideen geprägt von nicht-linearen, teilweise absurden Geschichten, die an Beckett denken lassen. Das Personal ihres großangelegten „Sichtung rot“-Projektes scheint sich in rote Fäden zu verstricken oder im Projekt „Schwarze Löcher“ von diesen verschluckt zu werden. Die Erscheinungsformen ihrer Werkgruppen variieren: Bleistift- und Filzstiftzeichnungen sowie Leinwandbilder verschiedener Formate oder temporäre, ortspezifische Installationen mit cutouts aus roten und schwarzen Klebefolien.
Brigitte Waldachs „Sichtung“ wird unterstützt durch das Kultusministerium der Landesregierung Schleswig-Holstein sowie durch die Firma Steinbeis Temming in Glückstadt.

Zur Ausstellung erscheint die Siebdruckedition „Sichtung rot – our library“ in Buchform (verlegt von Vice Versa, Berlin; Auflage 100; Preis 220 €) sowie der Siebdruck „Sichtung rot – fish“ (Format 50×60 cm, Auflage 50, Preis 100 €).
Bildmaterial und weitere Informationen zur Ausstellung erhalten Sie auf Anfrage vom Leiter des Palais für aktuelle Kunst in Glückstadt,
Dr. Matthias Harder.


Mit Unterstützung vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein sowie der Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein; sowie von Steinbeis Temming, Glückstadt