Geradezu in den Raum hinein

Katja Pudor und Hannes Norberg

Eröffnung 22.5. 14.30 Uhr – Finnisage 10.7. ab 14.30 Uhr

Performance 15.30 Uhr – Über das Hören und das Zuhören und die daraus folgenden möglichen Handlungen. Dauer 25 min.

Katja Pudor (Berlin) schreibt und überschreibt. Ihre Zeichnungen und Performances verbildlichen ihre Fragen an die Beziehungen zwischen Gegenwart und jüngster Vergangenheit, zwischen Präsenz und Absenz.

Hannes Norberg (Düsseldorf) konstruiert landschaftlich anmutende Fotografien basierend auf typografischen Vorlagen. Schriftzeichen aus verschiedensten Sprachen, Epochen und Kontexten formen dabei den Bildraum.

Freitag bis Sonntag 13.00 – 17.00 Uhr

Laufzeit 22. Mai – 10. Juli 2022


Text: V. Schubarth, Palais für aktuelle Kunst, Glückstadt 2022
Die Wahrnehmung beherrscht den Raum genau in dem Verhältnis, in dem die Tat die Zeit beherrscht.
Henri Bergson (aus: Materie und Gedächtnis, 1896)

In ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung begegnen sich die Berliner Künstlerin Katja Pudor und der Düsseldorfer Künstler Hannes Norberg in den historischen Räumen des Palais’ für aktuelle Kunst. Performative und bildnerisch inszenierte Zeichensysteme durchdringen sich in beiden Werken als räumliche und zeitliche Schichtungen typografischer Notationen. Die Zeichnungen und Drucke entstanden überwiegend eigens für das Palais, zum Teil auch vor Ort und in fortlaufendem Prozess.
Katja Pudor entfaltet oder vielmehr entfesselt auf weißem Papiergrund das Spiel von An- und Abwesenheit als Wesenskern alles Grafischen. Die bildnerischen Vorgänge sind in ihren zeitlichen und räumlichen Dimensionen unmittelbar präsent, sie bedürfen keiner Übersetzungen in Abbilder. Im Setzen von Zeichen, im Schichten, Überschreiten und Überschreiben von Spuren, in den immer wieder neu zu erfindenden Vokabularen aus rhythmischen gestischen Kürzeln (bisweilen analog zu musikalischen Notationen) verwirklicht sich vielmehr die Immanenz des selbstgewissen Handelns, eines darin Bleibens, Anhaftens.
Die von ihr verwendeten Zeichengeräte, häufig unkonventionell erweitert und kombiniert, werden dabei zu Prothesen, die den Körper in den Raum hinein verlängern und zugleich an leichtfertigen Abkürzungen hindern.
Katja Pudors grafische Performances machen den tänzerischen Gestus als Wechselspiel von Spannung und Lösung, Stocken und Fließen, Verdichten und Überschreiben auf der Fläche des Bildträgers erfahrbar. Es gibt kein vorgefasstes Konzept eines abbildhaften Bildraums und somit keine klassische Komposition mit ihrer Dialektik aus Bildfläche und Tiefenillusion. Das bildnerische Geschehen ist die Verbindung von Jetzt-Zuständen, die sich aus einer inneren Notwendigkeit heraus aneinander fügen. Die Notationen sind streng und intuitiv zugleich, ohne jede Manieriertheit und Gefälligkeit. Musikalische Kompositionen als Referenzen spielen sich eher auf einer verborgenen Ebene ab, die Betrachtenden erfahren davon nur durch die Präsenz der vor ihren Augen entfalteten grafischen Mittel.
Hannes Norberg inszeniert in seinen eigens für diese Ausstellung entwickelten Fotografien gefaltete und gewölbte Papierflächen, die durch typografische Strukturen in ihrer Plastizität konkretisiert werden. Die zeitgenössischen und historischen Fundstücke, darunter Horoskope, historische Übersichten und fragmentierte Alphabete aus asiatischen, arabischen und europäischen Schriftkulturen, sind vor allem in ihrer konstruktiven Repetition entscheidend für die bildnerischen Prozesse. Norberg, der selbst aus einer Familie mit einer eigenen Druckerei stammt, hat in Glückstadt Archiv-Bestände der Druckerei Augustin verarbeitet, die seit 1775 und insbesondere im frühen 20. Jh. internationale Bedeutung als Spezialdruckerei für asiatische Schriften im Bleisatz-Verfahren erwarb. Die hier gezeigten fotografischen Inszenierungen sind in ihrer technischen Vollendung konkret und entrückt zugleich. Sie verweisen mit optischer Differenziertheit auf ihre Mittel, die Art und Beschaffenheit des Papiers, den Farbauftrag, die unterschiedlichen Grade der Reproduktion und die Tiefenschärfe des Objektivs, und haben zugleich einen ganz offenen poetischen Grundton. Oberflächen aus Zeichenstrukturen entstehen in hoher Präzision gleichsam aus dem Nichts, die angedeutete Tiefe findet keinen Anker in einem Abbild, das Vorgestellte erscheint gleichsam in den Anführungszeichen des begrenzenden Bildrahmens. Hannes Norberg spielt in dieser Weise subtil mit formalen Assoziationen, die das Durchwandern des Bildraums als aktiven, konstruktiven Prozess des Sehens erfahrbar machen.